Bevor ich beginne, möchte ich erwähnen, dass ich prinzipiell japanische Werte mit unserer westlichen Kultur vergleiche. Mir ist bewusst, dass es auch in den westlichen Kulturen teilweise große Unterschiede gibt, werde aber nicht auf jede Details der einzelnen eingehen, da dies den Rahmen sprengen würde. Dennoch gibt es einige Gemeinsamkeiten, die der Einfachheit halber so generealisiert von mir übernommen werden.
Das wohl entscheidendste Merkmal zwischen unseren westlichen Werten und denen der japanischen Gesellschaft ist zu verstehen, dass unsere westlichen Werte ein hohes Maß an Individualität aufweisen, wohingegen Japaner sich selbst als Teil eines Kollektivs verstehen. Für uns Europäer und auch für Amerikaner, Kanadier und andere westliche Gesellschaften stehen wir selbst im Mittelpunkt unseres Seins. Sind unsere Grundbedürfnisse, wie ein Dach über dem Kopf, warme Mahlzeiten und eine finanzielle Sicherheit gedeckt, geht es uns in erster Linie darum UNS SELBST zu verwirklichen. Das bedeutet nicht, dass wir komplett egoistisch oder selbstverliebt handeln müssen.
In Japan sieht die Sache hingegen ganz anders aus. Aus dem kollektivistischen Denken der Japaner, resultieren strenge hierarchische Verhältnisse, wie z.B. von Jung gegenüber Alt, Angestellter gegenüber Chef, Kind gegenüber den Eltern und so weiter. In Japan ist der einzelne immer darauf bedacht zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln und sich wenn es dafür nötig ist, selbst zurückzunehmen. Diese Form des kollektivistischen Denkens erfährt man auch in vielen Alltagssituationen. In den U-Bahnen wird nicht laut gesprochen und schon gar nicht telefoniert, da man andere Fahrgäste nicht stören möchte. Kreuzen sich die Wege zweier Passanten, versuchen beide der anderen Personen auszuweichen und entschuldigen sich dafür. Gefühlsausbrüche (sowohl positiv als auch negative) werden in der Öffentlichkeit vermieden, um das eigene aber auch das Gesicht der anderen zu wahren.
WERTEVERGLEICH
Neben diesem grundlegenden Unterschied des westlichen Individualismus und des japanischen Kollektivismus, gibt es natürlich auch noch länderspezifische Unterschiede, die durch den jeweils anderen Part zu weiteren Missverständnissen führen können. Für diese konkreteren Themen habe ich 2 westliche Wertesysteme, die der Deutschen und die der Amerikaner, mit den japanischen Werten verglichen und möchte anhand der Grafiken erläutern, wie die jeweiligen Werte durch die andere Seite oft fehlinterpretiert werden können, obwohl hinter ihnen oftmals eine gute Absicht steckt. Diese Werte stehen beispielhaft für noch viele andere oder auch individuelle Werte. Es geht hierbei vor allem darum, dass Du dir bewusstwirst, wie deine eigenen Werte, die Du dir mit deiner Lebenserfahrung angeeignet hast, für andere nicht selbstverständlich sind und Du dadurch auch offener für das Verhalten von anderen wirst. Dadurch ermöglichst Du dir selbst, nicht instinktiv das Verhalten deines Gegenübers zu verurteilen, sondern zu hinterfragen – warum verhält er sich gerade, wie er es eben tut?
German Values | Evaluation by Japanese |
---|---|
Time management | Inflexible |
Privacy | Reserved |
Honesty, openness | Undiplomatic, offensive |
Directness | Aggressive, insensitive |
Discipline | Stiff, humorless |
Performance | Elbow attitude |
Direktheit – Zur Leistung gehört für uns Deutschen auch, ein schnelles zur-Sache-kommen. Wenn wir uns einem Problem gegenübersehen, sprechen wir es direkt an und wollen mit Hilfe von klaren Strukturen Lösungen finden. Dieses Verhalten wirkt auf Japaner meist taktlos und aggressiv, da Japaner klare zeremonielle Riten haben, die auch in größtem Stress eingehalten werden.
Offenheit, Ehrlichkeit – Wir schätzen es, wenn man uns die Dinge sagt, wie sie sind. Und zwar mit möglichst geringen Umschweifen. Ja ist ja und nein ist nein. Möglichst viele Fakten zu einem Thema, auch wenn sie noch so unschön sein mögen, ist uns lieber als eine positive Verpackung eines Problems. Dieser von uns wirklich sehr hoch geschätzter Wert wirkt auf Japaner zu höchst undiplomatisch und verletzend und mit unter einer der Hauptgründe für das Scheitern deutsch-japanischer Beziehungen.
Zeitmanagement – Wir planen oft langfristig. Gerade bei komplexeren Projekten ist uns eine detaillierte Planung mit Milesstones und Deadlines wichtig. Damit werdet ihr bei Japanern allerdings auf Unverständnis stoßen. Für sie wirken wir dadurch oft sehr unflexibel.
Leistung – Darunter verstehen wir effizientes Arbeiten, Zeitmanagement und den Drang, Deadlines mit allen Mitteln einzuhalten. Hierbei kann der E-Mailverkehr auch drängender und das Meeting kurz vor Abgabe auch hitziger werden. Obwohl der Gedanke hinter dieser Leistung durchaus lobenswert erscheinen mag, wirkt er auf Japaner abschreckend und erinnert sie an eine aggressive Ellenbogenmentalität.
Disziplin – Ja, beide Länder gelten als sehr diszipliniert, dennoch unterscheidet sich diese Art der Disziplin grundlegend. In Deutschland bedeutet Disziplin, dass Dienst Dienst ist und von der Freizeit abgegrenzt gehört. Während der Arbeit bringen wir Leistung und werden dann mit unserer individuellen Freizeit belohnt. In Japan bedeutet Disziplin auch, dass exzessive Trinken mit Kollegen und dem Chef nach der Arbeit und dem Pflegen der zwischenmenschlichen Beziehungen auf der Arbeit. Daher sehen Japaner deutsche Kollegen oft als steif und humorlos an.
Privatphäre – Dieser Wert wurde auch schon im Punkt Disziplin angeschnitten. Natürlich haben wir Arbeitskollegen, mit denen wir uns gut verstehen. Und mit manchen entwickeln wir vielleicht sogar Freundschaften. Dennoch trennen wir innerhalb unserer Arbeit meist bewusst Beruf und Privatleben. Wir erzählen vielleicht von unserem letzten Urlaub und antworten manchmal auch ehrlich auf die Frage nach unserem Befinden. Themen wie Familie, Kinder, Geldsorgen und ähnliches behalten wir aber für uns. Japaner empfinden Deutsche hier oft als kontaktscheu oder auch arrogant, da wir uns umgekehrt auch nicht auf dieser Ebene bei unseren japanischen Kollegen erkundigen.
Harmonie – einer der wichtigsten Werte in Japan, beruht darauf, offene Konfrontationen mit seinem Gegenüber zu vermeiden. Ein direktes Nein wird vermieden. Anstatt dessen bekommt man lange ausweichende Sätze oder ein Schweigen. Für uns westliche Kulturen wirkt dieses Verhalten oft ausweichend oder wird gar als Schwäche interpretiert.
Gesicht – In asiatischen Kulturen, speziell in der japanischen, ist die Wahrung des eigenen Gesichts und die des Gegenübers das höchste Gut. Die eben erwähnte Harmonie soll dazu beitragen, das Gesicht zu wahren. Dies resultiert in einer vorsichtigen und oftmals langwierigen Ausdrucksweise, was uns schnell heuchlerisch und unentschlossen vorkommt.
Respekt – Respekt wird in Japan immer den höhergestellten oder älteren Personen entgegengebracht. Dies äußert sich darin, dass Japaner sich immer an ihre Vorgesetzen wenden und den Rat von älteren Personen einholen. Ganz egal, ob sie es selbst besser wüssten oder nicht. Für uns wirkt ein solches Verhalten verantwortungslos und extrem abhängig und wir tendieren dann schnell dazu, die andere Person zu unterschätzen oder als uneigenständig abzutun.
Persönliche Beziehungen – Dies wird durch die informelle Kontaktpflege während der Arbeitszeit noch einmal verstärkt. Über aktuelle und intensive Erlebnisse im Privaten zu sprechen ist ausdrücklich gewünscht, auch wenn es uns oftmals vorkommt, als müssten wir zu viel unserer Privatsphäre preisgeben.
Japanese Values | Evaluation by Germans |
---|---|
Personal Relationship | Not enough privacy |
Patience | Sluggish, slow |
Etiquette | Fake, artificial |
Respect | Irresponsible, dependent |
To save face | Hypocritical, indecisive |
Harmony | Evasive, weak |
Etikette – In Deutschland haben wir einen Knigge Ratgeber, der uns gehobene Umgangsformen lehrt. In Japan gibt es aber bedeutend mehr solcher ritualisierten Umgangsformen, die bei Nicht-Einhaltung schnell einen Japaner schnell vor den Kopfstoßen können. Das richtige Verbeugen, der Austausch von Visitenkarten sind nur einige wenige davon. Solche steifen und ritualisierten Abläufe erscheinen uns oftmals als künstlich und unecht, sind aber für die Bindung zu japanischen Kollegen und Freunden unerlässlich.
Geduld – Die harmoniebedürftige und gesichtswahrende Haltung der Japaner führt zu einer ruhigen und zurückhaltenden Art, die uns mit unserem Ansatz der direkten Lösungsfindung oft träger und langsam vorkommt.
WICHTIGE ELEMENTE DER JAPANISCHEN KULTUR
Hier noch ein Überblick, in welchen kulturellen Eigenschaften Du dich vor deiner Reise nach Japan üben solltest!
和 (wa= Harmonie): Das Höchste Gebot ist es Harmonie zu bewahren und Konflikte zu vermeiden Weil es einfach so wichtig ist, spreche ich nochmal die Harmonie an. Das A und O beim Kontakt mit Japanern ist die Wahrung der Harmonie. Konflikte werden so gut es geht vermieden. Im Kapitel Verhandlungen mit Japanern schreibe ich über Techniken um eben solche besser vermeiden zu können und das Gesicht des Gegenübers wahren zu können.
内・外 (uchi – soto= Innengruppe – Außengruppe): Innerhalb herrscht Vertrauen und Abhängigkeit. Außen herrscht Vorsicht. Die Gruppeneinteilung ist relativ. Ein weiteres wichtiges Element, bzw. zwei Elemente, ist das Verständnis von uchi und soto. Uchi, die Innengruppe, steht für das Vertrauen und die Abhängigkeit im inneren Kreis. Im soto, der Außengruppe herrscht Vorsicht und Zurückhaltung. Diese Gruppeneinteilung ist relativ und situationsbedingt. Die Familie kann gegenüber den Arbeitskollegen uchi sein, wohingegen die Arbeitsgruppe in diesem Fall soto wäre. Dennoch kann die gleiche Arbeitsgruppe bei einem Auslandsbesuch gegenüber den ausländischen Geschäftskollegen uchi sein.
本音・建前 (honne – tatemae= Ehrliche Äußerung – diplomatische Äußerung): Je nach Situation werden unterschiedliche Meinungen geäußert Ähnlich wie mit uchi und soto verhält es sich mit den Elememten honne und tatemae. Honne steht stellvertretend für die ehrliche Äußerung – wohingegen tatemae die diplomatische Äußerung bezeichnet. Innerhalb meiner uchi-Gruppe, kann ich offen und direkt Themen ansprechen, auch wenn es sich hierbei um unangenehme Themen handelt. Soto-Gruppen gegenüber, also den Außenstehenden, darf ich mich nur diplomatisch äußern. Das heißt, ich wahre wieder die Harmonie und sowohl mein eigenes Gesicht, sowie das meines Gegenübers. Direkte Verneinungen oder gar Anschuldigungen sind TABU.
謙虚 (kenkyo= Bescheidenheit): Ausdruck der Höflichkeit. Sich selbst und auch alle uchi-Mitglieder vor anderen soto-Mitgliedern schlechter darstellen. Bescheidenheit spielt in Japan eine wichtige Rolle. Sie ist der Ausdruck der Höflichkeit anderen gegenüber. Man stellt sich selbst, aber auch die Mitglieder der eigenen Uchi-Gruppe, den anderen gegenüber schlechter dar. Dieses schlechter darstellen kann auf uns oftmals sogar so wirken, als würde ein Japaner seine Kollegen sogar bloßstellen.
遠慮 (enryo= Zurückhaltung): Um andere nicht zu beanspruchen soll man sich zurückhalten Auch Zurückhaltung ist eine wichtige Tugend für Japaner. Man möchte den anderen nicht zu sehr beanspruchen, daher übt man sich selbst in Zurückhaltung. Ein typisches Beispiel ist, die Frage, ob dein japanischer Gast etwas zu trinken möchte. In den meisten Fällen wird er sofort verneinen, auch wenn er gerne etwas zu trinken hätte. Es liegt an dir deinen Gast mindestens 3-mal in kürzeren Abständen zu fragen, denn eine ungeschriebene Regel besagt, nach dem dritten oder vierten Mal der Nachfrage, darf man ein Angebot, wie ein Getränk, annehmen. Wenn Du solche Situationen vermeiden möchtest, frage erst gar nicht, sondern stelle direkt ein Getränk zur Verfügung.
思いやり (omoiyari= Empathie): Sich in den Anderen hineinversetzen und Erwartungen ohne Frage zu erfüllen. Dieses Verhalten, bzw. diese Empathie müssen sich Personen aus unseren westlichen Kulturen meist erst aneignen, da sie es gewöhnt sind, dass das Gegenüber seine Wünsche äußert. Es geht also darum, dass Du lernst dich in den Anderen hinzuversetzen und dessen Erwartungen ohne eine von ihm explizit gestellte Frage erfüllen kannst.
努力 (doryoku= Bemühung, Streben): Immer sein Bestes geben. Für die Bewertung der Leistung ist diese Haltung manchmal wichtiger als die Ergebnisse. Dies bedeutet ganz einfach gesagt, dass man bei jeder Aufgabe, die man aufgetragen bekommt, immer sein Bestes geben soll. Japaner bewerten dieses Streben nach Perfektion zumeist höher als das tatsächliche Ergebnis oder die erbrachte Leistung. Hierzu kannst Du am besten einmal Kellner in einem nicht besuchten Restaurant beobachten. Anstatt viel mit den Kollegen zu reden, wird sich aktiv Arbeit gesucht und wenn es sein muss, das Geschirr ein fünftes Mal poliert.